Seit der alljaehrlich Arzttermin ansteht war mir
klar, dass es ein Problem geben wird.
Mein Blutdruck ist zu
hoch.
Ich weiss das schon seit ein paar Tagen, denn
ich habe mit meinem Doc die Vereinbarung, dass ich regelmaessig meinen
Blutdruck selber messe und darueber Buch fuehre.
Nun kommt es darauf an, wie man den Begriff „regelmaessig“
versteht. Auch in „jedesmal-kurz-vor-dem-Arztbesuch“ ist ganz ohne Zweifel eine
Regelmaessigkeit zu erkennen und bisher bin ich damit auch immer ganz gut
durchgekommen. Ich hasse es, wenn ich irgendwoanders, sei es beim Arzt, im
Krankenhaus oder gar im Drugstore, den Blutdruck gemessen bekomme und ich kann
es noch waehrend das Hoellengeraet pumpt, an meiner Kopfhaut (ja wirklich!)
spueren, wie er steigt, der kleine Teufel in meinen Adern.
Dann kommen Werte jenseits von Gut und Boese
heraus und der Messende hat dann immer direkt Bedenken, dass ich mich in
selbiges verabschieden koennte.
Also: besser vermeiden.
Es war ein hartes Stueck Arbeit, bis ich
meinem sehr jungen Arzt -und ich meine wirklich
SEHR jung- von meiner „Weisskittelphobie“ ueberzeugen konnte, und es
bedurfte einiger Vergleichsmessungen mit meinem und seinem Geraet, einer 24-Stunden-Messung
und einem neuen modernen Oberarm-Messgeraet, bis wir zu der o.g. Vereinbarung
kamen.
Ich bin 46 Jahre alt und muss seit 20 (!)
Jahren -Oh mein Gott! Sind es wirklich 20
Jahre??- blutdrucksenkende
Medikamente nehmen.
Zuerst nur mal kurz nach der Zwillings-Schwangerschaft.
Die durfte ich dann aber nach einer Erholungsphase wieder absetzen. Aber ein
paar Jahre spaeter war es dann nicht mehr zu umgehen und so nahm ich morgens
mein Tablettchen und gut war es. Nebenwirkungen waren weiter keine zu bemerken
und der Blutdruck war auch OK. Ich musste damals kein schlechtes Gewissen
haben. Nicht dass ich besonders uebergewichtig gewesen waere. Ich hatte damals
einen BMI von ca. 26, also durchaus normal. Ich habe zwar geraucht, aber
dennoch hatte ich die beste Entschuldigung ueberhaupt: Meine genetische
Veranlagung. Schliesslich hat mein Papa auch seit fruehester Jugend einen hohen
Blutdruck und den habe ich nunmal geerbt.
Und da
kann man gar nix machen.
Ach, ist das nicht herrlich, wenn man sich
einfach so seinem Schicksal ergeben kann, ganz entspannt weiterrauchen kann und
sich keine Gedanken ueber Sport und/oder Ernaehrungsumstellung machen muss. Denn ICH kann ja gar nichts dafuer und somit
kann ich auch gar nichts dagegen machen.
Und so lebte ich die letzten 20 Jahre mit
meinen Medikamenten, die sich langsam aber sicher alle paar Jahre vermehrten,
genau wie die Kilos, die sich auch noch ausgerechnet rund um meine Guertellinie
und am Bauch am wohlsten fuehlen.
Mit 30 habe ich es (fuer mich sehr ueberraschend)
geschafft, mit dem Rauchen aufzuhoeren. Das war dringend notwendig, denn ich
habe wirklich viel geraucht. Nach vielen Fehlversuchen mich von dieser
unangenehmen Sucht zu befreien, als ich schon selbst nicht mehr damit gerechnet
hatte, dass ich es tatsaechlich einmal bleiben lassen koennte, geriet ein Buch
in meine Finger. Das las ich, drueckte die letzte Kippe aus und das war’s.
Keine Ahnung, warum und wieso es ploetzlich
ging, aber ich hatte seither nie wieder Lust auf eine Zigarette. Ich war nicht
uebellaunig oder gestresst und ich habe auch nicht zugenommen – zumindest nicht
unmittelbar.
Ein Wunder! „Danke“ wem auch immer ich das zu
verdanken habe.
Mit 35 gab es einen gravierenden Einschnitt in
meinem Leben. Ich fuehlte einen Knoten in meiner linken Brust, der sich als
Brustkrebs herausstellte. Es folgten OP, Chemo, Bestrahlung und eine fast 2-jaehrige
Anti-Hormon-Therapie, die mir in der Bluete meines Lebens (haha...) kuenstliche
Wechseljahre bescherte.
Immerhin, ich durfte gesund und koerperlich
unversehrt weiterleben, und da nimmt man auch die „Hot-Flashes“ (ploetzliche
Schweissausbrueche) in Kauf. Diese kleinen Feuerschuebe, die sich
hauptsaechlich im Oberkoerper und im Kopf abspielen begleiten mich seither mal
mehr mal weniger intensiv, aber sie sind eigentlich immer da. Mittlerweile sind
meine Hot-Flashes und ich in ein Alter hineingewachsen, in dem auch meine
weibliche Umwelt weiss, was los ist, wenn ich im Winter bei minus 20 Grad wie
ein Rennpferd dampfend im T-Shirt vor der Haustuere stehe ;-).
Aber: Ich beschwere mich nicht, es ist wie es
ist und vor allem: es haette viel schlimmer kommen koennen.
Nur mein Blutdruck, der fand diese
kuenstlichen Anti-Hormongaben gar nicht witzig und stieg direkt mal so heftig,
dass die Dosis wieder erhoeht werden musste. Gottseidank hatte auch das ja nichts mit mir persoenlich zu tun. Da gab
es ja auch wieder einen triftigen Grund, an dem ICH NICHTS MACHEN KONNTE.
BMI damals immer so zwischen 29-34, also
ziemlich moppelisch.
Kurz vor meinem 41. Geburtstag bin ich mit
meiner Familie nach Kanada umgezogen. Und hier ist alles anders, vor allem das
Gesundheitssystem, in das ich mich direkt stuerzen musste, denn ich brauche ja
neben meiner jaehrlichen Brustkrebsnachsorge auch meine Blutdruckmedikamente.
Es hat ein paar Jahre gedauert, bis wir hier einen Hausarzt hatten und bis
dahin geht man in eine „After-Hour-Klinik“, ohne Termin, sitzt solange bis man
dran ist und sagt dann einem fremden, immer wechselnden Mediziner was man
braucht und bekommt es dann ohne Probleme (zumindest was Blutdruckmedikamente
angeht).
So vor etwa 3 Jahren wurden wir dann unserem „Family-Doctor“
zugewiesen und der oben beschrieben Kampf ging los. Dr. D. war zu dieser Zeit
zarte 28 (!) Jahre alt und sehr gewissenhaft.
Ergebnis damals: direkt erst mal neue
Tabletten in hoeherer Dosis.
Alles hatte sich nach einer Weile soweit ganz
gut eingespielt und so gehe ich nun 1x im Jahr zu dem netten Dr. D., zeige ihm
mein Heftchen mit den Blutdruck Daten und bekomme mein Rezept.
So auch in diesem Jahr, dachte ich, und fing
letzte Woche an, das Blutdruckgeraet zu suchen. Dann kam der Schock: Utopische
Werte. Egal wie oft ich gemessen hatte, er war zu hoch. Und zwar ganz gewaltig.
Sofort fielen mir alle moeglich Gruende ein,
warum das so sein koennte.
·
Habe ich mich etwa zusehr ueber
den Anblick des Messgeraetes aufgeregt?
·
Habe ich nicht lange genug still
sitzend gewartet, bevor ich gemessen habe?
·
War der private Stress der letzten
Monate zu viel fuer mich?
·
Habe ich zuviel gearbeitet?
Wie auch immer. Spitzenwert bei meiner Messung
war 170/110 mm Hg und das nicht nur einmal sondern eigentlich wenn ich ehrlich bin dauernd. Mein Liebster schaute mir ueber die Schulter und
reagierte mit einem „Boah, das sind ja wirklich total hohe Werte“ was ihm fast
eine Beule, hervorgerufen durch ein fliegendes Blutdruckmessgeraet einbrachte.
Als der erste Schreck vorueber war, habe ich
mich dazu entschlossen, Dr. D. die Wahrheit zu sagen und alleine dieser
Entschluss bzw. dieser Gedankengang ist schon krass.
NATUERLICH muss ich meinem Arzt die Wahrheit sagen. Wem nuetzt es, wenn ich
falsche Zahlen aufschreiben und dann einen Herzinfakt oder Schlaganfall
bekomme? Aber der Gedanke an weitere Medikamente schreckt mich diesmal total.
Irgendwie hat es mir schon immer etwas
ausgemacht, wenn die Dosis erhoeht wurde, aber irgendwie habe ich es auch immer
recht schnell akzeptiert und gar nicht erst versucht, etwas anderes dagegen zu
unternehmen – wie denn auch, bei meiner
genetischen Veranlagung und den boesen Wechseljahren??
Aber diesmal bin ich nicht bereit, die Kroete
zu schlucken.
Liegt es daran, dass man aelter wird und einem
bewusst wird, wie wichtig die Gesundheit ist?
Was sagt meine Leber dazu, wenn sie noch mehr
Chemie verarbeiten muss?
Treten diesmal vielleicht doch Nebenwirkungen
auf? Habe ich schon welche? Ich meine ein Pulsschlag von 46 die Minute ist
nicht gerade der Brueller, oder?
Aber vielleicht gibt es ja in der Zwischenzeit
neue Medikamente. Ganz etwas anderes. Etwas, was mein Koerper noch nicht kennt
und deshalb super darauf reagiert...
Ich bin also mit meinen Aufzeichnungen zu Dr.
D. der die junge Stirn sorgenvoll in Falten legte, als er die stattlichen
Zahlen sah.
Es gibt natuerlich
kein neues Wunder Medikament und letztenendes bliebe nur, die Dosis weiter
anzuheben.
ICH WILL
DAS ABER NICHT! Also schlug ich ihm einen Deal vor:
Ich habe noch fuer einen Monat meine aktuellen
Medikamente zu Hause. In diesem Monat werde ich versuchen, meinen Blutdruck
postiv zu beeinflussen und runter zu bekommen. Ich messe regelmaessig, schreibe
alles auf und habe in genau 4 Wochen den naechsten Termin bei Dr. D. Darauf
liess er sich bereitwillig ein.
30 Tage als Startschuss in ein gesundes Leben.
Los geht‘s